Überrascht und schockiert zeigten sich am vergangenen Samstag die BewohnerInnen der beschaulichen Gemeinde Salmbach im französischen Elsass. Der Grund hierfür waren die etwa 150 deutschen Neonazis, die am vergangenen Wochenende den Salle des fêtes, den Gemeinschaftssaal der kleinen Gemeinde, für sich beanspruchten. Der Argwohn scheint verständlich, handelte es sich bei der Zusammenkunft am 14. April 2012 doch um den sogenannten „3. Südwestdeutschen Kulturtag“ (SKT). Eine Veranstaltung mit Brisanz.
Salmbach im Elsass mit seinen etwas über 500 EinwohnerInnen liegt nahe der rheinland-pfälzischen Grenze. Hier scheint die Welt noch in Ordnung. Der Bürgermeister wohnt stilecht in einem elsässischen Fachwerkhaus, Wahlplakate von Grünen und Front National hängen einträchtig nebeneinander. Ein Bild, das durch den unerwarteten Besuch deutscher Neonazis ins Wanken gerät.
Der langjährige Bürgermeister von Salmbach, Jacques Weigel, fühlt sich von den Neonazis getäuscht: „C’est une véritable duperie, wie man auf französisch sagt!“ Seinen Angaben zufolge hatte Udo Pastörs den Salle des fêtes für rund 500 Euro gemietet, um einen „après-midi de récréation“ zu veranstalten, einen „Freizeitnachmittag“. Monsieur Weigel distanziert sich klar und deutlich von der Naziveranstaltung: „Je suis démocrate!“ Nie wieder werde er den Nazis den Gemeindesaal zur Verfügung stellen.
Dass Neonazis ihre Veranstaltungen unter falschen Angaben anmelden, ist ein bekanntes Phänomen. Weniger bekannt sind hingegen grenzübergreifende Aktivitäten. Allenfalls werden grenzüberschreitende Nazikonzerte öffentlich, wie beispielsweise am 9. Juli 2011 in einer Sporthalle im lothringischen Rohrbach. Das vom Ludwigshafener Hammerskin Malte Redeker mitorganisierte Konzert ließ sich aber schon aufgrund der Größe von rund 2.500 hauptsächlich aus Deutschland angereisten Neonazis kaum unbemerkt veranstalten.
Im Bezug auf die VeranstalterInnen des „Kulturtages“ in Salmbach gehört ein solches Vorgehen allerdings inzwischen zur Methode. Um Veranstaltungen nicht zu gefährden und deren reibungslosen Ablauf zu garantieren, weicht die NPD-Jugendorganisation zunehmend auf das europäische Umland aus. So auch am vergangenen Wochenende. Und das aus gutem Grund: hinter der Bezeichnung „Südwestdeutscher Kulturtag“ verbirgt sich eine Zusammenkunft von besonderer Bedeutung. Ein Jahrestreffen verschworener Neonazis, welche die NPD-Jugend als Kaderschmiede einer kommenden Elite begreifen. Einer Elite, die für den Untergang des „Besatzerregimes, das sich Bundesrepublik Deutschland nennt“ Sorge tragen soll.
Seit nunmehr drei Jahren findet sich der „Kulturtag“ im Terminkalender organisierter Neonazis wieder. Der konspirativ durchgeführte SKT offenbart in Ablauf und Funktion erstaunliche Parallelen zum „Märkischen Kulturtag“ (MKT), einer Veranstaltung der verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ). Auch diese Zusammenkunft diente jahrelang als elitäres Jahrestreffen von Alt- und Neonazis. Nach dem Verbot der HDJ und dem damit verbundenen Wegfall des MKT scheint nun der „Südwestdeutsche Kulturtag“ diese Lücke füllen zu können. Dabei scheint es nicht verwunderlich, dass nun die „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) als Veranstalter in Erscheinung treten. Etliche ehemalige Kader und „Einheitsführer“ der HDJ finden sich inzwischen in den Reihen der NPD-Jugend wieder.
Die NPD-Jugend als Auffangbecken verbotener Organisationen
Nach dem gescheiterten NPD-Verbotsverfahren 2003 konnte sich deren Jugendorganisation als vermeintlich sicherer Rückzugsraum militanter Neonazis entwickeln. So wurde nur wenige Monate nach dem Verbot der HDJ die Gründung einer „IG Fahrt und Lager“ bekannt. Diese „Interessengemeinschaft“, nach Eigenangaben eine Unterstruktur der „Jungen Nationaldemokraten“, entwickelte bald ein rasantes Eigenleben. Ähnlich wie die HDJ ging die „IG Fahrt und Lager“ dazu über, den politische Nachwuchs in konspirativen Zeltlagern paramilitärisch zu drillen.
Ehemalige HDJ-AktivistInnen treten auf diesen Zeltlagern inzwischen als AusbilderInnen in Erscheinung. Deren Erfahrungen scheint man auch in der Führungsspitze der „Interessengemeinschaft" nicht missen zu wollen. So handelt es sich bei der auch in Salmbach anwesenden derzeitigen „Bundesmädelführerin“ Daniela Kühnel wie auch dem „Bundesführer“ Sebastian Richter um ehemalige HDJ-AktivistInnen. Angesichts dieser personellen Verbindungen verwundert es nicht, dass auch das Vereinslogo der HDJ und die Erkennungszeichen der „IG Fahrt und Lager“ frappierende Ähnlichkeiten aufweisen.
Solcherlei Verbindungslinien zwischen HDJ und „Interessengemeinschaft“ blieben auch den Behörden nicht verborgen. Im Vorfeld des JN-„Jahreswechsellagers“ 2010/2011 wurde die elitäre Neonazi-Gemeinschaft mit einer großangelegten Polizeiaktion konfrontiert. Hausdurchsuchungen im gesamten Bundesgebiet sollten Informationen über die geplante Veranstaltung der JN ans Tageslicht fördern. Die koordinierte Polizeiaktion zeigte Erfolg: der Mietvertrag des ursprünglichen Veranstaltungsortes wurde gekündigt. Das Zeltlager selbst konnte nur unter erschwerten Bedingungen stattfinden.
Aufgeschreckt durch den unerwarteten Verfolgungsdruck verschwand die „IG Fahrt und Lager“ kurze Zeit später aus der Öffentlichkeit. Entsprechende Hinweise auf ihre Aktivitäten wurden auf der Internetseite des JN-Bundesvorstands kurzerhand entfernt. Auf die Nennung des Namens wird von Seiten der JN inzwischen weitestgehend verzichtet. So auch beim „Südwestdeutschen Kulturtag“, welcher ursprünglich von AktivistInnen der „Interessengemeinschaft“ ins Leben gerufen wurde. Man ist vorsichtiger geworden.
Das Vorgehen der Ermittlungsbehörden im Zusammenhang mit dem „Jahreswechsellager“ 2010/2011 führte noch zu einem weiteren Nebeneffekt. Aktivitäten, welche den Strukturen der „IG Fahrt und Lager“ zugerechnet werden, wie Zeltlager oder auch der „Südwestdeutsche Kulturtag“, wurden zunehmend über die Landesgrenze verschoben – weit entfernt von unliebsamen BeobachterInnen. Während im April 2010 der „1. Südwestdeutsche Kulturtag“ noch im rheinland-pfälzischen Ludwigshafen stattfand, wurde bereits im Folgejahr ins französische Elsass mobilisiert. Man fürchtete antifaschistische Gegenaktivitäten, mediale Berichterstattung und Repression durch die Behörden, die nach dem Verbot der HDJ verstärkt auf die JN als Ersatzorganisation fokussieren könnten.
Sandkörner, im Getriebe des Besatzerregimes
Dass unliebsame Beobachter alles andere als willkommen sind, stellte die JN von Anfang an unter Beweis. In Ludwigshafen wurden anwesende Fotografen, welche das neonazistische Treiben dokumentieren wollten, massiv bedrängt. Während des zweiten „Kulturtages“, der im „Restaurant Au Stammtisch“ im elsässischen Hatten stattfand, attackierten JN-Aktivisten einen Fotografen aus Norddeutschland mit Faustschlägen und versuchten ihm die Kamera zu entreißen.
Dass man sich bemüht zeigt, die Veranstaltungen unbeobachtet stattfinden zu lassen, ist zumindest aus Sicht der VeranstalterInnen durchaus einleuchtend, dient der SKT doch der Festigung und Vermittlung einer ideologisch geprägten Weltanschauung. Bereits Kleinkinder werden hier in einem völkisch-neonazistischen Mikrokosmos dem Diktat nationalsozialistischer Demagogie unterworfen.
Aus der ihr innewohnenden Zielsetzung macht die JN kein Geheimnis: es geht um die Schaffung von „politischen Soldaten“. Thorsten Heise, Redner während des 1. SKT, fasste diese Zielsetzung folgendermaßen zusammen: „Jeder von Euch ist ein Sandkorn, im Getriebe, in der Maschinerie dieses Besatzerregimes, das sich Bundesrepublik Deutschland nennt. Und eines Tages kommt sein Untergang. Und ihr seid der Sand der dafür sorgt, dass es untergehen wird.“
Auch die Anwesenheit von ehemaligen FunktionärInnen der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ dürfte Motivation genug sein, die Veranstaltung möglichst unentdeckt zu lassen. So nahmen in der Vergangenheit unter anderem die „Einheitsführer“ der „HDJ-Einheit Schwaben“ sowie der „HDJ-Einheit Thüringen“ an dem konspirativen Treffen teil. Der Berliner Rechtsanwalt Wolfram Nahrath, einer der führenden Köpfe im Hintergrund der HDJ, gehörte gar zu den geladenen Rednern. Neben Nahrath durfte in der Vergangenheit auch der langjährige Neonazi Ralph Tegethoff das Rednerpult des „Kulturtages“ erklimmen. Seine politische Zielsetzung konnte Tegethoff bereits im Rahmen von HDJ-Veranstaltung zum Besten geben: „Dieser Staat muss abgeschafft werden und durch einen freien deutschen Volksstaat ersetzt werden.“
„Kulturschaffende“ unter sich ...
Angesichts dieser offensichtlichen Verquickung mit ehemaligen HDJ-AktivistInnen und deren Zielsetzungen erscheint es nur konsequent, dass in diesem Jahr mit Sebastian Räbiger der ehemalige HDJ-Bundesvorsitzende die Veranstaltung moderierte. Abermals fand das Treffen jenseits der Grenze statt. Abermals wurde der genaue Ort bis zuletzt geheim gehalten. Mit Hilfe von Kontaktnummern und Schleusungspunkten wurden am vergangenen Wochenende rund 150 Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet über die deutsch-französische Grenze dirigiert.
Ihr Ziel: ein Dorfgemeinschaftshaus im französischen Salmbach. Zum Rahmenprogramm der Veranstaltung gehörte der Auftritt eines Laientheaters, eines Frauenchors sowie der JN-eigenen Trommler- und Fahnengruppe. Volkstanzvorführungen, eine Jurte im Stil der Bündischen Jugend sowie Verkaufs- und Informationsstände rundeten das „kulturelle Angebot“ ab. Bewacht wurde das Gelände von einem einheitlich gekleideten und mit Funkgeräten ausgestatteten Ordnerdienst, völkische Patrouillen durchforsteten die nähere Umgebung, motorisierte Streifen fuhren durchs Dorf.
Einige TeilnehmerInnen hatten zuvor im baden-württembergischen Rheinau-Memprechtshofen an einem Naziaufmarsch am sogenannten „Panzergraben“ teilgenommen. Begleitet wurde der Aufmarsch der rund 50 Neonazis vom lautstarkten Gegenprotesten. Von dort ging die Reise über einen rund 35 km entfernten „Schleusungspunkt“ im elsässischen Seltz in das noch einmal etwa 14 km entfernt liegende Salmbach. Der etwas außerhalb des kleinen Dorfes befindliche Salle des fêtes war ideal für eine solche Veranstaltung geeignet: leicht zu verteidigen und außerhalb des Zugriffs deutscher Behörden.
Wie bereits in den Vorjahren wurde der 3. SKT von bundesweiten JN-Strukturen unter maßgeblicher Beteiligung des Neonazifunktionärs Stephan Böttcher von der JN Rheinland-Pfalz und der „IG Fahrt und Lager“ organisiert. Böttcher betreute bereits 2011 die Kontaktadresse des „Kulturtages“. Die „Verantwortung im Sinne des Presserechts“ für den Werbeflyer wurde wie auch schon im letzten Jahr von rheinland-pfälzischen NPD-Strukturen übernommen. Hier zeichnete das NPD-Mitglied Klaus Armstroff verantwortlich, Ehemann der rheinland-pfälzischen NPD-Landesvorsitzenden Dörthe Armstroff. Dessen Beteiligung erscheint logisch, diente doch das in Weidenthal gelegene Anwesen der Familie Armstroff in der Vergangenheit bereits als Ausweichort für HDJ-Zeltlager.
„Diese Jugend lernt ja nichts anderes als deutsch denken“
Der mittlerweile in Jena studierende JN-Aktivist Patrick Zwerger bewarb den „Kulturtag“ hingegen auf der Website des JN-Bundesvorstands. Im Vorfeld wurden hier Interviews mit den Rednern des „Kulturtags“ veröffentlicht. In den Fragen der JN wird explizit auf das HDJ-Verbot Bezug genommen. Auf die distanzierte Haltung der NPD gegenüber der HDJ angesprochen versprach der diesjährige Redner Udo Pastörs in Zukunft „eine Veränderung herbeizuführen“. Er bedauere die Folgen des Verbots für den „politischen Kampf“. Die Zukunft Deutschlands sieht Udo Pastörs als gefährdet, in einer rassistische Tirade schreibt er über die „biologische Dynamik der Fremdvölker“, welche die „deutschen Ureinwohner“ an die „Wand gebären“ würden. Bereits 2010 war Pastörs für ähnliche Aussagen wegen Volksverhetzung zu 10 Monaten auf Bewährung verurteilt worden.
Mit seiner Einstellung zur HDJ steht Pastörs nicht allein. Auch Sebastian Simka von der Naziband „Projekt Aaskereia“ schwadroniert auf der JN-Internetseite über „Brauchtumspflege“ und bedauert das HDJ-Verbot. Als weiterer Redner des diesjährigen „Kulturtages“ wurde mit dem Auftritt des NPD-Ideologen Olaf Rose geworben. Rose sorgte zuletzt für überregionale Schlagzeilen, als er im März 2012 erfolglos für das Amt des Bundespräsidenten kandidierte. Auch die Rede von Udo Pastörs, dem Fraktionsvorsitzenden der NPD-Fraktion im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, dürfte mit Spannung erwartet worden sein. In Pastörs Wahrnehmung handelt es sich bei der Bundesrepublik Deutschland um eine „Judenrepublik“, die bald zusammenbrechen werde. Inwieweit Aussagen wie diese zu seinem Engagement als Redner des „Kulturtages“ geführt haben, bleibt das Geheimnis der VeranstalterInnen, die im Vorfeld bereits ankündigten, dass für „klare Worte“ gesorgt werde.
Mit völkischer Jugendarbeit scheint Pastörs zumindest gut vertraut – bewegte er sich doch bereits im Umfeld der „Wiking Jugend“ (WJ). Diese Organisation wurde 1994 aufgrund ihrer Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus, namentlich der Hitler-Jugend, verboten und gilt als Vorgängerstruktur der inzwischen ebenfalls verbotenen HDJ. Ebenfalls mit der WJ vertraut ist auch Sebastian Räbiger. Der spätere „HDJ-Bundesführer“ leitete zum Zeitpunkt des WJ-Verbotes als „Gauführer“ die Geschicke der Vereinsorganisation im „Gau Sachsen“.
Nach dem Verbot der HDJ scheint sich Räbiger nun der JN anzunähern. Seine Verbundenheit mit NPD-Jugend und der „IG Fahrt und Lager“ offenbarte sich bereits im Juni 2011. Damals verhinderte ein massives Polizeiaufgebot das Pfingstlager von JN und „Interessengemeinschaft“ im sächsischen Quitzdorf am See. Daraufhin suchten führende Neonazis das Gespräch mit der örtlichen Polizeiführung. Unter den Neonazis befand sich neben dem ehemaligen HDJ-Aktivisten Sebastian Richter, heute „Bundesführer“ der „IG Fahrt und Lager“, auch der ehemalige HDJ-Bundesvorsitzende Räbiger. Dass die VeranstalterInnen des jetzt stattgefundenen „3. Südwestdeutschen Kulturtages“ ebenfalls mit „Kinderbetreuung“ warben, erscheint angesichts dieser Hintergründe in einem besonderen Licht.
Recherche Nord & Autonome Antifa Freiburg