Vor 10 Jahren, am 18. Januar 2015, vergewaltigte der 19-jährige Brock Allan Turner die bewusstlose Chanel Miller nach einer „Kappa Alpha“-Fraternity-Party neben einem Müllcontainer auf dem Campus der Stanford Universität. Dabei wurde er durch zwei Passanten gestört und an einer Flucht gehindert.
2016 wurde der Studentensportler mit ursprünglich guten Aussichten auf eine Olympia-Teilnahme in allen drei Anklagepunkten schuldig gesprochen. Richter Aaron Persky verurteilte ihn aber nur zu sechs Monaten Haft, von denen er lediglich drei Monate tatsächlich absaß, sowie einer Bewährungszeit von drei Jahren und die lebenslange Meldepflicht als Sexualstraftäter. Der Richter äußerte in seinem Urteilsspruch, dass eine längere Haftstrafe „severe impact“ (dt.: schlimme Auswirkungen) auf das Leben des Täters hätten.
Das milde Urteil löste eine Welle aus Empörung aus, auch durch eine Erklärung des damals noch anonymen Opfers, die im Laufe des Prozesses verlesen wurden: „You don’t know me, but you’ve been inside me, and that’s why we’re here today.“ Später erzählte Chanel Miller in ihrem Buch „Know My Name – A Memoir“ ihre Sicht auf den Vorfall und den Prozess.
Der Fall bewegte den Bezirksstaatsanwalt 2016 dazu, einen Vorschlag zur Erweiterung der Definition von Vergewaltigung im kalifornischen Gesetz mit Erfolg zur Abstimmung zu stellen. Demnach ist Penetration mit einem stumpfen Gegenstand, wie in dem Fall Turners, hinzugefügt worden. Wäre Turner danach verurteilt worden hätte er eine Mindeststrafe von drei Jahren bekommen müssen.
Als Reaktion auf den Urteilsspruch wurde Richter Persky 2018 mit einem umstrittenen Recall-Verfahren aus seiner sechsjährigen Amtszeit frühzeitig entlassen. BefürworterInnen des Recalls argumentierten, dass Persky auch schon vor Turner bei anderen weißen, wohlhabenden College-Sportlern Milde hatte walten lassen. KritikerInnen sahen dies als Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit.
In einer Studie wurde das Strafmaß von Urteilssprüchen vor und nach dem Recall verglichen. Wie von GegnerInnen des Recalls befürchtet, hatte die Abwahl Perskys Urteilssprüche grundsätzlich verschärft. Allerdings nicht im Falle von sexuellen Gewaltdelikten, sondern bei allen Straftaten – insbesondere bei Schwarzen und Latino-Angeklagten. Dieses Ausspielen des antisexistischen Kampfes und der #MeToo-Bewegung gegen antirassistische Arbeit im Widerstand gegen Masseninhaftierungen in den USA wurde in der Doku „The Recall: Reframed“ rückblickend betrachtet.