Donnerstag, 12.12.2024

Die Beerdigung von Walter Sucher in Wien zwei Tage vor der österreichischen Nationalratswahl hat strafrechtliche Konsequenzen für seine „Bundesbrüder“ Martin Graf und Norbert Nemeth von der „Wiener Burschenschaft Olympia“ in der „Deutschen Burschenschaft“ und Harald Stefan von der „pennalen Burschenschaft Gothia Meran“. Die drei hatten wie etliche weitere Korporierte am Grab des Altnazis auf dessen ausdrücklichen Willen hin „Wenn alle untreu werden“ gesungen. Die Staatsanwaltschaft stellte daraufhin ein Ersuchen um Aufhebung der Immunität der drei Nationalratsabgeordneten an den Nationalratspräsidenten:
„Die Genannten stehen im Verdacht sich jam 27. September 2024 in Wien am Friedhof Hernals auf andere als die in đen §§ 3a bis 3f VerbotsG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt zu haben, indem sie im Zuge der Beerdigung des Olympia-Burschenschafters und ehemaligen FPÖ-Bezirksrates KR Ing. Walter Sucher das Lied ,Wenn alle untreu werden‘ sangen, wodurch sie die Verbrechen der Nationalsozialisten, insbesondere der Schutzstaffel des Dritten Reiches (SS) guthießen, wobei die Tathandlung auf eine Weise Begangen wurde, dass sie vielen Menschen zugänglich wird.
Das angeführte Lied weist einen deutsch-völkischen, antisemitischen Entstehungskontext auf und würde in der Zeit des Nationalsozialismus (in einer leicht abgewandelten Version) als ,Treuelied‘ von der Waffen-SS verwendet. Im SS-Liederbuch war es nach dem Deutschlandlied und dem Horst-Wessel-Lied exponiert an dritter Stelle angeführt Der Verstorbene KR Ing. Walter Sucher war unter anderem als FPÖ-Bezirksrat, ,Alter Herr‘ der Burschenschaft Olympia und Vorsitzender des Ringes volkstreuer Verbände tätig. Laut dem Vorredner bei dem Begräbnis sej es der ausdrückliche Wunsch des Verstorbenen gewesen, dass bei seiner Beerdigung das gegenständliche Lied gesungen werde Im Rahmen einer Rede auf einem Landesparteitag der FPÖ-Wien am 6. Mai 2006 soll KR Ing. Walter Sucher ausgeführt haben, man lasse es sich nicht nicht nehmen, Lieder wie die SS-Hymne ,Wenn alle untreu werden‘ auch heute noch zu singen, was seinen diesbezüglichen Liederwunsch in ein eindeutiges Licht rückt.
Es ist davon auszugehen, dass die historische Bedeutung des Liedes, das bereits ursprünglich einen antisemitischen Hintergrund aufweist, in der Zeit des Nationalsozialismus von der SS verwendet wurde und sich an prominenter Stelle in deren Liederbuch findet, sowie die Affinität des Verstorbenen zumindest zum Rechtsextremismus den Beschuldigten aufgrund ihres Bildungsgrades und ihrer gesellschaftlichen Stellung bewusst war. Demnach besteht ein konkreter Verdacht, wonach es die Teilnehmer des Begräbnisses in Kauf genommen und sich damit abgefunden haben, dass das gemeinsame öffentliche Singen des gegenständlichen Liedes von den jeweils anderen Teilnehmern zumindest auch als eine Huldigung der von den Nationalsozialisten, insbesondere der von der begangenen Verbrechen, verstanden werden kann.
Dr. Martin GRAF, Mag. Harald STEFAN und Mag. Norbert NEMETH stehen daher im Verdacht, dadurch das Verbrechen der nationalsozialistischen Wiederbetätigung nach § 3g Abs 1 und Abs 2 VerbotsG begangen zu haben.
Aufgrund der früheren politischen Position des Verstorbenen sowie der Teilnahme mehrerer Personen des politischen öffentlichen Lebens an dem Begräbnis steht die Tathandlung nicht offensichtlich in keinem Zusammenhang zur politischen Tätigkeit der Erst- bis Drittbeschuldigten als Abgeordnete zum Nationalrat.
Die Staatsanwaltschaft Wien beehrt sich daher, anzufragen, ob nach Art 57 Abs 3 B-VG die Zustimmung zur strafrechtlichen Verfolgung der Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Martin GRAF, Mag. Harald STEFAN und Mag. Norbert NEMETH wegen § 3g Abs 1 und Abs 2 VerbotsG erteilt wird.“

Aber der Nationalratspräsident von der FPÖ und „Alte Herr“ der „Wiener Burschenschaft Libertas“ Walter Rosenkranz fühlte sich alles andere als geehrt, als ihn das Ersuchen der Staatsanwaltschaft seine Parteikameraden und „Waffenbrüder“ betreffend am 20. November erreichte. Insbesondere, weil am 24. November Wahlen in der Steiermark anstanden und die Staatsanwaltschaft bereits am 6. November die Aufhebung der Immunität des FPÖ-Parteichefs Herbert Kickl wegen Falschaussage im Untersuchungsausschuss verlangt hatte.
Also übte sich Rosenkranz im Falle der neuerlichen Staatsanwaltspost in Zurückhaltung, bis der Erdrutschsieg der Nazis in der Steiermark eingefahren war, bei der die FPÖ ihr Wahlergebnis auf 34,8% verdoppeln konnte. Rosenkranz schuf damit einen Präzedenzfall als erster Nationalratspräsident, der entgegen der Geschäftsordnung des Nationalrats ein staatsanwaltschaftliches Ersuchen nicht „sofort nach dem Einlangen“ an den Immunitätsausschuss weiterleitete, sondern es zehn Tage zurückhielt, bis die Presse darüber berichtete. Einfach, weil er konnte.
„§ 80 [Immunitätsangelegenheiten]
(1) Ersuchen um Zustimmung zur behördlichen Verfolgung eines Abgeordneten gemäß § 10 Abs. 2 und Abs. 3 erster Satz, Ersuchen um Entscheidung über das Vorliegen eines Zusammenhanges im Sinne des § 10 Abs. 3, Mitteilungen von Behörden gemäß § 10 Abs. 5, Anträge von Behörden gemäß Art. 63 Abs. 2 B‑VG sowie Ersuchen um die Ermächtigung zur Verfolgung von Personen wegen Beleidigung des Nationalrates weist der Präsident dem mit diesen Angelegenheiten betrauten ständigen Ausschuß (Immunitätsausschuß) sofort nach dem Einlangen zu. Ersuchen um Zustimmung zur behördlichen Verfolgung gemäß § 10 Abs. 3 erster Satz sowie Ersuchen um Entscheidung über das Vorliegen eines Zusammenhanges im Sinne des § 10 Abs. 3 werden dem betroffenen Abgeordneten mitgeteilt.“

Am 11. Dezember wurde die Immunität aller vier Nationalratsabgeordneten schließlich vom Parlament aufgehoben.