Kurz vor Sonnenaufgang des 11. November. 150 Polizisten, wovon die Mehrheit zu Anti-Terror Bekämpfungseinheiten gehören, haben ein 350-Seelen Dorf auf dem Plateau von Millevaches umstellt bevor sie in einen Hof eindringen um neun junge Leute zu verhaften, welche einen ehemaligen Kräuterladen nutzten um das kulturelle Leben im Dorf wieder zu beleben.
Vier Tage später. Die neun in Gewahrsam genommenen Leute werden einem Anti-Terrorismus Richter vorgeführt und der Bildung einer „kriminellen Vereinigung mit terroristischer Zielsetzung“ beschuldigt. Die Medien berichten, dass das Innenministerium und der Staatschef „der Polizei und der Gendarmerie für ihre Emsigkeit beglückwünscht“ haben. Alles ist scheinbar in Ordnung. Aber versuchen wir die Tatsachen näher zu betrachten und die Gründe und Resultate dieser Emsigkeit genauer zu erörtern.
Die Gründe zuerst: Die jungen Leute, die verhaftet wurden, „wurden von der Polizei wegen ihrer Zugehörigkeit zur Ultralinken und der anarcho-autonomen Dunstkreise“ beobachtet. Wie das Umfeld des Innenministeriums klar stellt, haben sie „einen sehr radikalen Diskurs und Beziehungen zu ausländischen Gruppen“.
Aber da ist mehr: Einige der Festgenommenen „nahmen regelmässig an politischen Demonstrationen teil“ und zum Beispiel „an den Demonstrationszügen gegen die Edvige-Kartei und gegen die Verschärfung der Gesetze zur Immigration“. Eine politische Zugehörigkeit (und dies ist der einzig mögliche Sinn einer sprachlichen Monstrosität wie „anarcho-autonome Dunstkreise“), die aktive Ausübung der politischen Freiheiten oder ein radikaler Diskurs genügen also, um die Unterchefetage der Anti-Terror Polizei (SDAT) und die zentrale Direktion der Innlandsgeheimdienste (DCRI) auf den Plan zu rufen. Nun, wer aber ein Mindestmaß an politischem Bewusstsein besitzt, der kann, im Bezug auf Demokratieabbau, die Befürchtungen dieser jungen Leute zur Evidge-Kartei, der Erfassung biometrischer Daten und Verschärfung des Asylrechts nur Teilen.
Nun zu den Resultaten. Man würde erwarten, dass die Ermittlungsbehörden im Bauernhof von Millevaches Waffen, Sprengstoff und Molotov-Cocktails fänden. Weit verfehlt. Die Polizisten von der SDAT sind „auf Dokumente gestossen, die die Zugzeiten, Gemeinde für Gemeinde, mit Abfahrt- und Ankunfstszeit in den jeweiligen Bahnhöfen“ beinhalteten. Auf gut Deutsch: Ein SNCF-Zugfahrplan. Aber sie haben auch „Kletterausrüstung“ beschlagnahmt. Im Klartext eine Leiter, so eine, wie sich in jedem Haus auf dem Lande befindet.
Es ist also an der Zeit zu den verhafteten Personen zu kommen und — vor allem — zum vermeintlichen Chef dieser terroristischen Bande. „Ein 33-jähriger Anführer, aus einem wohlhabenden Pariser Umfeld, der von der Unterstützung seiner Eltern lebt.“ Es handelt sich um Julien, einen jungen Philosophen, der unlängst mit einigen seiner Freunde Tiqqun anführte, eine Revue die sicherlich von der politischen Analyse her für diskussionswürdige Punkte verantwortlich ist, jedoch noch heute zu den intelligentesten dieser Epoche gehören. Zu der Zeit habe ich Julien kennengelernt und habe, aus intellektueller Sicht, eine nachhaltige Achtung vor ihm.
Lasst uns also zur Einsichtnahme des einzigen konkreten Faktums in dieser Geschichte kommen. Die Tätigkeit der Festgenommenen sei im Zusammenhang mit böswilligen Handlungen gegen die SNCF zu sehen, welche die Verspätung einiger TGV auf der Strecke Paris-Lille zu verschulden haben.
Die verwendeten Vorrichtungen, wenn wir den Aussagen von Bahnangestellten und Polizei Glauben schenken, kann in keinem Fall Menschen schaden. Sie könnten, da sie sich gegen die Energiezufuhr der Hochspannungsleitungen richten, Züge verspäten. In Italien kommen die Züge sehr oft zu spät, aber niemand hat je die Nationale Bahngesellschaft des Terrorismus bezichtigt. Es handelt sich um mindere Vergehen, selbst wenn niemand diese unterstützen sollte. Am 13. November liess die Polizei vorsichtig in einem Communiqué erklingen, „dass vielleicht Autoren der Sachbeschädigungen unter den Verhafteten seien, aber dass es unmöglich ist eine solche oder solche Aktion Einzelnen zur Last zu legen“.
Die einzige mögliche Zusammenfassung dieser dunklen Geschichte ist, dass diejenigen, die sich heutzutage aktiv gegen die (im Übrigen auch diskutierbare) Art und Weise, wie soziale und politische Probleme heutzutage gelöst werden, engagieren, ipso facto wie potentielle Terroristen behandelt werden, selbst wenn keine einzige Handlung die Beschuldigung rechtfertigen könnte.
Wir müssen den Mut besitzen klar zu sagen, dass heutzutage in zahlreichen europäischen Ländern (besonders in Frankreich und Italien) polizeiliche Maßnahmen eingeführt wurden, die wir einst als barbarisch und antidemokratisch bezeichnet hätten, und die den Maßnahmen, die in Italien im Faschismus galten, in nichts nachstehen. Eine dieser Maßnahmen ist die, die ein Gewahrsam von 96 Stunden einer vielleicht unvorsichtigen Gruppe junger Leute, denen aber „keine Aktion angehängt werden kann“, erlaubt. Eine weitere ähnlich schwerwiegende Maßnahme ist die Einführung von Gesetzen zu Gemeinschaftsdelikten, von denen die Ausformulierung gewollt schwammig ist und die ermöglichen politische Handlungen als inhaltlich mit „terroristischer Zielsetzung“ oder „terroristischer Berufung“ zu deuten, die bisher nie als terroristisch angesehen wurden.