Rastatt war Residenzstadt, Bundesfestung und Garnisonsstadt, aber nie Universitätsstadt. Nie Hort der Freiheit, immer der Repression. Im „Badischen Wiegenlied“ von 1849 heißt es:
„Schlaf, mein Kind, schlaf leis, dort draußen geht der Preuß! Zu Rastatt auf der Schanz da spielt er auf zum Tanz, da spielt er auf mit Pulver und Blei, so macht er alle Badener frei.“
Da es keine Universität in der Stadt gab, gründeten sich in Rastatt – anders als im benachbarten Karlsruhe – auch keine „akademischen Burschenschaften“. Wie in Coburg, das als regionaler Verwaltungssitz auch nicht über eine Universität verfügte, gründeten sich in Rastatt gleich drei und im benachbarten Baden-Baden eine Schülerverbindung an den dortigen Gymnasien. Die rein männlichen „Pennalen Verbindungen“ (PV) sind im Dachverband „Pennälerkartell Baden“ organisiert: die „PV Teutonia 1842 zu Rastatt“, die „PV Markomannia 1824 zu Rastatt“, die „PV Germania 1919 zu Rastatt“ und die „PV Frankonia 1877 zu Baden-Baden“.
Nur ist der aktuelle Zustand der Schülerverbindungen nicht gut, vor allem jener der „PV Teutonia“. Wer ihrer Homepage Glauben schenkt, vermutet vermutlich die Existenz einer „Aktivitas“: „Gut 200 Mitglieder jeden Alters umfasst der Freundschaftsbund, der sich überwiegend aus den vier oberen Klassen der Rastatter Gymnasien rekrutiert und mit den Rastatter Schwesterverbindungen Markomannia und Germania konkurriert. Alle drei sind Mitglieder des Pennälerkartells Baden, unter dessen Dach derzeit 9 Schülerverbindungen aus dem gesamten badischen Raum zwischen Bruchsal und Freiburg gedeihen.“
Wer jedoch Daniel Himmel zuhört, „Alter Herr“ der „Teutonia“ und „Partner“ bei „McKinsey & Company“, muss eher an einen Altweißmann-Friedhof denken. Oder wie Himmel es beschönigend nennt: ein „Sanierungsfall“. In Daniel Himmels Rede (als PDF) auf dem Sommerfest 2025 der „PV Teutonia Rastatt“ wird die ganze Misere offengelegt. Anders, als die Lügen auf der Homepage suggerieren, hat die „Teutonia“ gar keine „Aktivitas“ mehr:
„Lasst uns der bitteren Wahrheit ins Auge sehen: Unser Produkt ist gut, aber egal wie gut es ist, für Jugendliche ist es nur dann erlebbar, wenn andere Jugendliche dabei sind. Und damit befinden wir uns eben in der berühmten Zwickmühle, dem Catch 22. Deshalb glaube ich, dass der Schulterschluss zu anderen Verbindungen im Kartell ganz wichtig ist, und dieser wird richtigerweise ja auch gesucht, wie z.B. mit der RICC Kneipe vor einigen Wochen. Wir brauchen aktuell die Hilfe von Germania, Markomannia und Frankonia. Joint Ventures gibt es bei Unternehmen auch.
Wenn wir uns also doch mal wieder einen Keilgast schießen, dann muss er im Fuchsenstall mit Gleichaltrigen sitzen, auch wenn’s nicht unsere eigenen Füchse sind. Das mag ein gewisses Risiko bergen, aber das müssen wir dann irgendwie managen. Wenden wir uns zu guter letzt noch einmal dem Thema Vertriebs- und Marketingstrategie zu. Wir brauchen eine Mischung aus gezielter Akquise und breit
gestreutem Marketing. Sniper-Gewehr und Schrotflinte. Push und Pull.“
Und wen wollen die „Alten Herren“ ganz genau „schießen“ bzw. „keilen“? „Meine vereinfachte Milchmädchenrechnung zur Bestimmung der Anzahl von Schülern der Rastatter Gymnasien im relevanten Alter geht so: 2 Gymniasien x 4 Stufen (9-12) x 3 Klassen pro Stufe x 25 Schüler, davon 50% männlich macht nach Adam Riese 300 männliche Schüler. Die Schätzung ist wahrscheinlich konservativ, da ich nur die beiden allgemeinbildenden Gymnasien und nur Rastatt berücksichtigt habe, aber bleiben wir mal dabei. Um wieder sowas wie einen funktionieren Neustart hinzubekommen brauchen wir vielleicht 3-5 Neofüchse, sprich einen Marktanteil von 1-2%. Hört sich erstmal machbar an.“
Denn demografisch sieht es für die Schülerverbindung ganz, ganz bitter aus: „Wie eben erwähnt haben wir 175 Mitglieder inkl. Verkehrsgästen. Unser Durchschnittsalter liegt bei 57 Jahren. Teilt man unsere Alterspyramide in Dekaden auf, also z.B: 31-40-jährige, 41-50-jährige u.s.w., dann sind stärkste Kohorte die 51-60-jährigen mit 47 an der Zahl (27% der Gesamtpopulation), gefolgt von den 41-50-jährigen mit 31 (oder 18%) und den 61-70-jährigen (oder 16%). Die Gruppe der Ü70 ist mit 21% größer als die der U30 mit 18%.“
Auch die Ideologie bei den „Bundesbrüdern“ ist alles andere als gefestigt, zumindest in der Umsetzung: „Harter Kern: 17 Teutonen oder 10% der Grundgesamtheit. Lokale Opportunisten: 42 oder 24%. Auswärtige Opportunisten: 15 oder 9%. Karteileichen: 101 oder 58%.“
Ein konkrete Idee zur Umsetzung seines martialischen Schülerrekrutierungskonzepts hat Daniel Himmel, „Biername: Lucifer“, auch: „Gezielte Akquise geht in erster Linie über Altherrensöhne. Hier noch einmal kurz zurück zu unserer Statistik von eben. Unsere verschobene Alterspyramide hat nämlich auch einen Lichtblick. Ein Viertel aller Teutonen, 45 an der Zahl, ist gerade zwischen 45-55 Jahren, und sollte jetzt oder in absehbarer Zeit Kinder im keilfähigen Alter haben.“
Die anderen wollen die „Alten Herren“ einfach kaufen: „Ansonsten bin ich im Hinblick auf unsere Marketingstrategie ganz bei EAH Bobbelé’s [Stefan Haberstroh] Schlussfolgerungen aus seiner Verbindungspauke anläßlich der diesjährigen Buschenfeier. Wir brauchen eine Social Media Kampagne. Auch hier ein kurzer Blick in die Statistik: 88% der 12- bis 19-Jährigen sind täglich im Internet unterwegs und nutzen es durchschnittlich 241 Minuten pro Tag. Youtube, TikTok, Instagram, WhatsApp. Da müssen wir rein. Wie genau? Keine Ahnung. Vielleicht brauchen wir hier mal einen Kommunikations-Berater und müssen etwas Geld ausgeben. Kohle haben wir ja.
Überhaupt müssen wir in der aktuellen Lage maximal radikal denken und auch das Undenkbare in Betracht ziehen. Was macht ein Unternehmen, wenn der Absatz schwächelt. Es gewährt Rabatte. Es setzt finanizelle Anreize. Schließe einen Handyvertrag ab und du bekommst das neue Iphone gleich dazu. Könnten wir auch machen. Bezahlte Kneipbesuche? Söldner-Füchse? Um Gottes Willen nein! Aber Event-Erlebnisse, die sich die Jugendlichen sonst nicht leisten können? Warum nicht? Schickes Essen, VIP Area im Club, Konzertbesuch, Auswärtsfahrt, was auch immer.“