Der Skandal um Matern von Marschall ist eigentlich nicht ein Skandal, sondern viele.
Der erste Skandal ist der sexuelle Missbrauch einer 13-Jährigen durch einen 30 Jahre älteren Mann. Der Machtmissbrauch dauerte fünf Jahre von 2007 bis 2011. Das katholische Adelsumfeld hat den Täter die ganze Zeit über geschützt. Entweder war sich Matern von Marschall keiner Schuld bewusst oder er fühlte sich sakrosankt. Jedenfalls kandidierte der Freiherr von und zu nur zwei Jahre nach Ende des Missbrauchs für den Deutschen Bundestag. Und nochmal vier Jahre später. Und nochmal vier Jahre später. Wir schämen uns nie.
Der Justizskandal beginnt 2018. Nachdem sich das Missbrauchsopfer erfolglos an die Familie des Täters gewandt hatte, zeigte die Frau ihn an. Doch die Staatsanwaltschaft Freiburg stellte das Ermittlungsverfahren gegen Matern von Marschall wegen schweren sexuellen Missbrauchs ein. Für sie war das öffentliche Interesse an dem Fall durch eine Zahlung von 30.000 Euro beseitigt. Schon damals waren für sowas eher zwei bis drei Jahre Knast normal, aber ein adliger CDU-MdB ist nun mal nicht normal.
Spätestens im Jahr der Strafanzeige beginnt auch der Medienskandal. Die Badische Zeitung wusste bereits 2018 von dem Ermittlungsverfahren gegen Matern von Marschall. Doch sie hat bis heute das öffentliche Interesse an dem Fall ignoriert und nicht berichtet, was ist. Im April 2022 weitete sich der Medienskandal zu einer Farce aus. Die Welt sagte, was ist. Aber nicht wer und nicht wo. Der SWR sagte wo. Aber nicht wer und nicht was. Die BZ sagte was und wo. Aber nicht wer. Dann sagte die BZ endlich wer und wo. Aber nicht was.
Der CDU-Skandal reicht von Freiburg bis Berlin. Der Freiburger CDU-Kreisvorsitzende und sein Vorgänger wussten es: Bernhard Rotzinger und Peter Kleefass. Im CDU-Bezirksverband Südbaden wusste es außerdem Wolfgang Schäuble. Der baden-württembergische CDU-Landesvorsitzende Thomas Strobl wusste es und sein innerparteilicher Gegenspieler Guido Wolf auch. Wer noch?
In den Worten der CDU ist Matern von Marschall jemand, der ein „Kind […] manipuliert, um es zu sexuellen Handlungen zu bewegen“. Das wurde am 25. März 2021 vom Bundestag zum Verbrechen erklärt. Matern von Marschall war stimmberechtigter CDU-Bundestagsabgeordneter. Wir schämen uns nie.