„Abgesehen davon, daß es keinen unpolitischen Strafprozeß gibt, weil in der Welt überhaupt nichts unpolitisch ist, darf gesagt werden, daß wir eine Rechtsprechung und eine Rechtsfindung bei politischen Tatbeständen nicht haben.“
Vor dem Landgericht Stuttgart beginnt am 21.09.2009 der Berufungsprozess gegen sieben Antifaschisten, die nach einem Konzert des Nazisängers Frank Rennicke in Sindelfingen am 16.02.2007 festgenommen wurden. Der Prozess beginnt am 21.09., 28.09., 12.10., 19.10, 09.11. und 16.11. jeweils um 9 Uhr und am 02.11. um 13:30 Uhr. Am ersten Prozesstag wird es in der Mittagspause zudem eine antifaschistische Pressekonferenz zum Prozess, sowie um 16 Uhr in Böblingen eine Kundgebung auf dem Elbenplatz geben, die sich gegen die konstituierende Sitzung des Böblinger Kreistages unter Beteiligung des am 09.06.2009 gewählten NPD-Abgeordneten Janus Nowak richtet, der für die Organisation des Nazikonzerts in Sindelfingen verantwortlich war.
Der NPD-Pressesprecher und stellvertretende NPD-Landesvorsitzende Janus Nowak kommentierte am 29.05.2009 in einer internen Rundmail der NPD Stuttgart den in der Leonberger Kreiszeitung erschienen Artikel „Polizei weist NPD-Anzeige zurück“ zum gescheiterten Versuch der NPD das Aktionsbündnis „Nazis keine Basis bieten“ als „kriminelle Vereinigung“ verfolgen zu lassen: „Der im Artikel zitierte Herr Vincon ist übrigens der ehemalige Chef des Böblinger Staatsschutzes, der aufgrund unseres genial geplanten und durchgeführten ‚Faschingsveranstaltung‘ mit Frank Rennicke zum Pressesprecher des Böblinger Polizeireviers DEGRADIERT worden ist und dies immer noch nicht verkraften konnte.“
Auch der Böblinger Amtsrichter Michael Kirbach bezeichnete das Nazikonzert in der ersten Instanz verharmlosend als „Faschingsveranstaltung“ und sprach dem Prozess jeglichen politischen Charakter ab. Dabei wurde Frank Rennicke bereits selbst vom Amtsgericht Böblingen wegen Volksverhetzung verurteilt, was sowohl vom Stuttgarter Landgericht als auch vom Oberlandesgericht bestätigt, anschließend jedoch vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben wurde. Rennicke war Funktionär der am 10.11.1994 verbotenen „Wiking-Jugend“ und der am 31.03.2009 verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“. Mittlerweile übernehmen die „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) zunehmend die „Jugendarbeit“ der Naziszene, da die Jugendorganisation der NPD, in die Rennicke nach dem Verbot der Wiking-Jugend eintrat, als Parteijugend nicht nach dem Vereinsgesetz verboten werden kann. Zuletzt blamierte sich Rennicke am 23.05.2009 als Bundespräsidentschaftskandidat der NPD.
Am 16.02.2007 besuchten rund 180 Nazis Rennickes Konzert in der von Antun Zivkovic betriebenen Gaststätte am Stadion des VfL Sindelfingen in der Rosenstraße. Die Polizei hatte bereits im Vorfeld von der geplanten Naziveranstaltung erfahren, hielt diese jedoch geheim und tat alles für einen reibungslosen Ablauf. AntifaschistInnen wurden an der S-Bahn-Station Goldberg von der Polizei gejagt, eingekesselt, festgehalten und schließlich zur Rückfahrt nach Stuttgart gezwungen. Verantwortlich für das skandalöse Vorgehen der Polizei ist die Stuttgarter Staatsanwaltschaft, auf deren Anordnung hin diese Ereignisse nicht im Polizeibericht erwähnt wurden.
Die Behörden rechtfertigen ihr Handeln damit, dass sie eine Eskalation zwischen Links und Rechts wie zu Zeiten der Weimarer Republik verhindern wollten. Diese angebliche Eskalation ist eine revisionistische Lüge, wie sie sich auch heute noch in deutschen Schulbüchern findet. Die wahre Dimension der faschistischen Gewalttaten und der einseitig zu Gunsten der Nazis urteilenden deutschen Justiz in der Weimarer Republik wurde bereits 1921 statistisch erfasst, wie sich in Heinrich Hannovers und Elisabeth Hannover-Drücks Buch « Politische Justiz 1918-1933 » nachlesen lässt: „Der Mathematikprofessor Emil Julius Gumbel führte 1921 in seiner Broschüre ‚Zwei Jahre Mord‘ detailliert aus, dass seit dem 9. November 1918 in Deutschland ‚314 von Rechts begangene Morde‘ mit insgesamt ‚31 Jahren 3 Monaten Freiheitsstrafe und einer lebenslänglichen Festungshaft‘ geahndet wurden, die insgesamt ‚13 von Links begangene Morde‘ jedoch zu ‚8 Todesurteilen, 176 Jahren und 10 Monaten Freiheitsstrafe‘ geführt haben.“
In dieser Tradition verurteilte Amtsrichter Kirbach am 22.09.2008 auf Antrag der Stuttgarter Staatsanwaltschaft sieben Antifaschisten in einem Indizienprozess wegen Körperverletzung. Sie sollen im Anschluss an das Nazikonzert in der Stadiongaststätte eine Gruppe Nazis angegriffen und zwei der Nazis Platzwunden zugefügt haben. Anschließend seien sie nach einer filmreifen Verfolgungsjagd von der Polizei verhaftet worden. Trotz vieler widersprüchlicher Zeugenaussagen und obwohl nach Kirbachs Aussagen „keine direkten Beweise“ vorlagen, wurden die Antifaschisten zu teilweise hohen Haftstrafen ohne Bewährung verurteilt. Staatsanwaltschaft und Gericht scheinen sich das „Reinigen der Stadt von Zecken und Pöbel“ auf die Fahnen geschrieben zu haben, wie es die NPD auf ihrer Homepage formulierte.
Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft ist bekannt für ihr rechtslastiges Vorgehen. Auf ihr Konto geht der skandalöse Prozess gegen den Nix Gut-Versand aus Winnenden wegen des Verwendens durchgestrichener Hakenkreuze. Die Staatsanwaltschaft versuchte den antifaschistischen Versand wegen der „Verwendung Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ zu belangen. Mit diesem durchsichtigen Versuch, AntifaschistInnen wegen der Verwendung von Nazisymbolen zu kriminalisieren, scheiterten die Stuttgarter Staatsanwaltschaft jedoch am 15.03.2007 vor dem Bundesgerichtshof.
Die gleiche Staatsanwaltschaft ist auch für die Strafvereitelung im Falle der Nazimörder von Sant’Anna verantwortlich. Am 12. August 1944 ermordeten vier Kompanien der Waffen-SS-Division „Reichsführer SS” unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung rund 560 Menschen, darunter 116 Kinder, im toskanischen Dorf Sant’Anna di Stazzema und brannten die Häuser des Dorfes nieder. Erst 2005 wurden im italienischen La Spezia zehn der Täter in Abwesenheit zu lebenslänglichen Haftstrafen verurteilt. Doch noch immer leben die Mörder unter uns. Die italienischen Urteile haben in Deutschland keine Gültigkeit, der deutsche Staat liefert die Nazis nicht an Italien aus und die zuständige Stuttgarter Staatsanwaltschaft weigert sich die Nazis anzuklagen, da sie keine niederen Beweggründe und damit keine Mordmerkmale erkennen will.
„Und gegen diese Vereinigung von Menschen, die sich eine Macht anmaßen, die ihnen niemand gegeben hat, gegen diesen Haufen dickköpfiger Burschen, deren Qualifikation einzig darin besteht, dass sie sie zu haben glauben, und deren Gruppenzugehörigkeit man nicht gegen ihren Willen erwerben kann – gegen diese Zahl von Männern, die einen Selbstzweck und eine unsittliche Wirtschaftsform verteidigen, gegen sie gibt es nur eine Waffe, nur ein Mittel, nur ein Ziel. Die Schande dieser Justiz, die Schande solchen Strafvollzuges –: nieder mit ihnen. Und das Gesetzbuch um die Ohren aller, die sich mit Erwägungen, mit Bedenken und mit wissenschaftlichen Hemmungen dem wichtigsten Ziel entgegenstellen, das einen anständigen Menschen anfeuern kann:
Recht für die Rechtlosen.“
Autonome Antifa Freiburg
Einen Tag nach der Veröffentlichung des Communiqués wurde der Prozess auf unbestimmte Zeit verschoben.