Am 29.07.2006 kesselte die Polizei über mehrere Stunden mehr als 350 DemonstrantInnen auf dem Platz der Alten Synagoge in Freiburg. Vor dem örtlichen Verwaltungsgericht fand am 19.02.2008 ein Prozess gegen das Land Baden-Württemberg wegen dieser Missachtung des Versammlungsrechts statt.
There’s a good tradition of love and hate
Beim DIY-Festival trafen sich hunderte AnarchistInnen aus ganz Europa, um zu diskutieren, voneinander zu lernen, sich zu vernetzen und ihre politische Meinung auf die Straße zu tragen. Bereits in der Nacht auf den 28.07.2006 gelang es der Polizei die Situation durch eine gezielte Provokation zu eskalieren. Nach der Räumung der Campsite am Nachmittag sollte mit dem „Freiburger Kessel“ das DIY-Festival endgültig zerschlagen werden. Während Polizeidirektor Metzger die betont subversiven Aktionen gutheißt: „Das Aufstellen eines Planschbeckens auf dem Münsterplatz mit entsprechenden Meinungsäußerungen war unzweifelhaft versammlungsrechtlichen Charakters“, stellt er bei der Beurteilung der Reclaim The Streets-Demonstration eine unverfrorene Dreistigkeit zu Schau: „Hinsichtlich der Zusammenkunft der Personen auf dem Platz der Alten Synagoge ist festzustellen, dass es sich offenkundig um D.I.Y. – Against the State-Teilnehmer handelte, aber versammlungsrechtliche Elemente nicht erkennbar waren.“
Police partout, justice nulle part
Die Brisanz des Themas ist offensichtlich: Nach deeskalierender Polizeitaktik seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre geriet die Freiburger Polizei mit ihrem Einsatz während des DIY-Festivals erstmals massiv in die Kritik der Öffentlichkeit. Ein Paradigmenwechsel weg von einem offenem Willensbildungsprozess hin zu offener Repression fand statt und wird von der lokalen Polizeidirektion bis hinauf zum Landesinnenminister weiter forciert. Freiburger PolizistInnen müssen sich immer häufiger wegen ihren Gewalttaten vor Gericht verantworten. Auch wenn die politische Justiz alle Strafverfahren gegen BeamtInnen rigoros einstellt, das positive Image der „Freunde und Helfer“ ist perdu. Bereits in der Ausbildung werden PolizistInnen mit antilinken Feindbildern indoktriniert und ihr Rückgrat durch Mobbing gebrochen (jüngstes Beispiel ist die Polizeihundeschule Herzogau). Solche Gewalterfahrungen schaffen ein Klima, in dem individuelle Willkür akzeptiert wird und die TäterInnen durch den Korpsgeist in der Polizei gedeckt werden.
Polizeigewalt ist Alltag
Wessen Gerechtigkeitsgefühl wird nicht verletzt, wenn am Rande des „Freiburger Kessels“ ein Polizeiarzt minutenlang einer gefesselter Epileptikerin jede Hilfe verweigert, erst ein zufällig anwesender Arzt einen Krankenwagen ruft und die Frau anschließend wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt verurteilt wird? Wenn zwei französische DemontrantInnen nur deshalb in Abwesenheit verurteilt werden, damit Polizeidirektor Metzger seine Rechtfertigung gegen die Verwaltungsklage belegen kann? Wenn Jugendliche rassistisch beleidigt und grundlos brutal zusammengeschlagen werden und Hobbyschläger mit Polizeimarke in ihrer Freizeit besoffen einen Migranten malträtieren? Wenn ein hilfeleistender Schwarzer von einem Polizeihund gebissen, von einer Polizistin rassistisch beleidigt und wegen Widerstandes dann auch noch das Opfer verurteilt wird, während alle TäterInnen freigesprochen werden? Wenn leitende Beamte ihren prügelnden Untergebenen zuschauen und am nächsten Tag gegenüber der Zeitung behaupten, es hätte keine Polizeigewalt gegeben? Wenn ein vermeintlicher Hausbesetzer zusammengetreten wird und die Polizei behauptet, er sei auf der Flucht in eine Baggerschaufel gelaufen? Auch bei diesem Prozess wird wieder gezielt gelogen und beileibe nicht nur von den unteren Rängen. Es ist eine Lüge, dass bei der Demonstration am 02.12.2005 PolizistInnen verletzt worden sein sollen. Es ist eine Lüge, dass die Polizei den gekesselten DemonstrantInnen keine Platzverweise erteilt habe. Doch die da prügeln und lügen, sie müssen keine juristischen Konsequenzen fürchten, denn Willkür ist gewollt.
Que se vayan todos
Bleibt die Frage zu klären, ob es sich bei diesem Skandal um ein Führungsproblem handelt. Mit der Antwort vom 13.10.2006 auf die Landtagsanfrage des grünen Abgeordneten Reinhold Pix offenbart Innenminister Heribert Rech, dass er das Verhalten der ihm unterstellten Polizei nicht nur deckt, sondern mit leuchtendem Beispiel voranschreitet. Er lügt nicht nur ebenso dreist wie sein lokaler Polizeidirektor Metzger: „Zuletzt wurden am 2. Dezember 2005 bei einer größeren unfriedlichen Demonstration als Clowns verkleidete Personen dabei beobachtet, wie sie Pflastersteine ausgegraben und in Eimer gefüllt hatten.“ Rech versucht sogar noch politisches Kapital aus dem gesetzlosen Handeln seiner Untergebenen zu schlagen und propagiert, das Vermummungsverbot auch auf Menschenansammlungen ohne „Versammlungscharakter“ anzuwenden. Auch eine andere politische Farbenlehre würde das Problem nicht lösen, wie der zum obrigkeitsstaatstragenden Oberbürgermeister mutierte Dieter Salomon mit der von ihm vorangetriebenen Ausweitung der Legalisierung von polizeilichen Willkürmaßnahmen wie dem präventiven „Zusammenrottungsverbot“ oder dem Alkoholverbot auf Freiburgs Straßen deutlich macht.
Evviva l’anarchismo e la libertà
Die einzelnen AkteurInnen sind verantwortlich für ihr Handeln und können sich nicht hinter ihrer Funktion als Repression ausübende Gewalten verstecken, doch die Anwendung der Repression als Krisenlösung ist unabhängig von den handelnden Menschen, sie hat System. Der Gerichtsprozess offenbart einmal mehr die zentralisierte Macht als strukturelles Problem eines jeden Staates, und genau das war ein Grund für die D.I.Y anarchist convention against the state.
Autonome Antifa Freiburg
Weitere Dokumente: Die Klageschrift, eine Stellungnahme der Anwältin und natürlich die Meldung zur Klageablehnung.